Die Diskussion um die Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie sorgt seit Monaten für Emotionen – sowohl bei Gästen als auch in der Branche selbst. Viele Konsumentinnen und Konsumenten fragen sich: Wenn der Staat den Steuersatz senkt, warum bleiben die Preise in Restaurants und Cafés dann oft gleich? Auf den ersten Blick scheint das unfair. Doch ein genauerer Blick auf die wirtschaftliche Realität der Gastronomie zeigt: Die Branche kann die Senkung in den allermeisten Fällen nicht an die Gäste weitergeben – und das aus guten Gründen.
1. Ein Entlastungsinstrument, kein Rabattversprechen
Zunächst muss klargestellt werden, dass die Senkung der Mehrwertsteuer politisch als wirtschaftliches Entlastungsinstrument gedacht war – nicht als verpflichtender Preisnachlass für Gäste. Sie sollte Gastronomen nach den extrem schwierigen Jahren von Pandemie, Energiekrise und Personalknappheit helfen, ihre Betriebe zu stabilisieren. Viele Unternehmen kämpfen mit massiv gestiegenen Kosten: Lebensmittelpreise, Energie, Pacht, Gebühren und vor allem Löhne sind in den letzten Jahren stark angestiegen. Die Mehrwertsteuersenkung sollte diesen Druck abfedern – nicht einen neuen Preiskampf entfachen.
2. Kostenexplosion in allen Bereichen
Seit 2020 hat sich die Kostenstruktur der Gastronomie drastisch verändert. Laut Branchenverbänden sind Energiekosten um bis zu 100 % gestiegen, Lebensmittelpreise im Schnitt um 30–40 %, und die Personalkosten liegen mittlerweile rund 25 % höher als vor der Pandemie. Viele Betriebe können ihre Speisekartenpreise kaum anpassen, ohne Gäste zu verlieren – obwohl sie rechnerisch müssten.
Die Senkung der Mehrwertsteuer von 19 % auf 7 % bei Speisen (und zeitweise auch Getränken) hat somit häufig nur verhindert, dass Preise noch stärker steigen mussten. In der Praxis gleicht die Maßnahme also Kostensteigerungen aus, statt Gewinne zu erhöhen.
3. Rücklagenbildung statt Preisnachlass
Ein weiterer Faktor ist die finanzielle Verletzlichkeit vieler gastronomischer Betriebe. Die Jahre 2020 bis 2022 haben enorme Löcher in die Kassen gerissen. Laut einer Studie des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (DEHOGA) verfügen rund 40 % der Betriebe über keine ausreichenden Rücklagen, um weitere Krisen zu überstehen.
Die temporäre Steuererleichterung bietet die Chance, wieder etwas Puffer aufzubauen – für notwendige Investitionen, Renovierungen oder digitale Modernisierung. Kurz gesagt: Wer die Mehrwertsteuersenkung als „Extra-Gewinn“ interpretiert, verkennt, dass sie für viele Betriebe überlebensnotwendig ist.
4. Wettbewerbsdruck und Preissensibilität
In der Gastronomie herrscht ein enormer Wettbewerbsdruck. Gäste reagieren empfindlich auf Preiserhöhungen, doch gleichzeitig sind sie anspruchsvoller denn je. Qualität, Regionalität, Nachhaltigkeit und Service werden erwartet – und all das kostet Geld.
Wenn ein Restaurant die Mehrwertsteuersenkung vollständig weitergäbe, während die Konkurrenz sie nutzt, um ihre Kalkulation zu stabilisieren, würde das langfristig zu einem gefährlichen Preisdruck führen. Das Resultat: geringere Qualität, weniger Personal, geringere Löhne – ein Teufelskreis, der der gesamten Branche schadet.
5. Arbeitskräftemangel als Kostentreiber
Der Fachkräftemangel ist eine der größten Herausforderungen der Gastronomie. Um qualifizierte Mitarbeiter zu halten oder neue zu gewinnen, müssen Betriebe deutlich attraktivere Löhne und Arbeitsbedingungen bieten als früher. Diese Entwicklung ist überfällig – bedeutet aber auch steigende Fixkosten.
Die Mehrwertsteuersenkung trägt also indirekt dazu bei, dass Gastronomen ihren Mitarbeitenden faire Löhne zahlen können. Wer hier sparen wollte, um Preise zu senken, würde den ohnehin angeschlagenen Arbeitsmarkt weiter verschlechtern.
6. Kommunikation mit den Gästen: Transparenz statt Rechtfertigung
Viele Gäste verstehen die komplexen Zusammenhänge hinter den Preisen nicht – und das ist nachvollziehbar. Umso wichtiger ist es, dass Gastronomen offen kommunizieren, warum sie die Senkung nicht weitergeben. Ein kurzer Hinweis auf der Speisekarte oder im persönlichen Gespräch kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden:
„Wir nutzen die Mehrwertsteuersenkung, um gestiegene Kosten abzufedern und unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern faire Löhne zu zahlen.“
Diese Ehrlichkeit schafft Vertrauen und zeigt, dass das Ziel nicht Profit, sondern nachhaltiges Wirtschaften ist.
Stabilität statt kurzfristiger Rabatte
Die Gastronomie befindet sich in einer fragilen Phase des Umbruchs. Die Mehrwertsteuersenkung ist kein Geschenk an die Gäste, sondern ein notwendiges Instrument, um wirtschaftliche Stabilität, Qualität und Arbeitsplätze zu sichern. Wer erwartet, dass jeder Cent direkt in niedrigere Preise fließt, verkennt die Realität hinter den Kulissen.
Nur wenn die Betriebe langfristig solide wirtschaften können, bleibt die gastronomische Vielfalt in unseren Städten und Dörfern erhalten – und das ist letztlich im Interesse aller: der Gäste, der Mitarbeiter und der Gesellschaft.


















